Den Maschinen das Land wieder wegnehmen

Reprendre la terre aux machines

Manifeste pour une autonomie paysanne et alimentaire

Éditions du Seuil 2021 / 2023

Hier die stichwortartige Zusammenfassung und Gedanken dazu von Ingo, der über das Buch in Kleine Wildnis am 28.2. und 6.3.24. referiert hat.

Einleitung

Handarbeit in der Landwirtschaft, statt Maschinenkraft? Klingt nach einer Zumutung, ist aber ein ernst gemeinter Vorschlag in „Reprendre la terre aux machines“: Denn in einer Landwirtschaft, die wie eine Industrie funktioniert und in der alles die Maschine macht geht das landwirtschaftliche Wissen, der Bezug zum Lebewesen Boden verloren, das Dorf stirbt aus, die Arbeit wird stumpf und es entstehen Schäden bei der Artenvielfalt, Klima, Böden, Biodiversität, Grundwasser… Die Autoren führen sogar die in Frankreich erhöhte Selbstmordrate bei Bauern auf die trüben Zustände in der industriellen Landwirtschaft zurück.

Die nährstoffarmen Produkte aus der industriellen Landwirtschaft machen die Autoren für die „Zivilisationskrankheiten“ wie Diabetes, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Krebs, etc. verantwortlich – ein Umstand der uns auch in einem Vortrag von Dr. Thomas Hardtmuth über den Mangel an wichtigen Mikroorganismen in den tot gespritzten Böden schon begegnet ist.

Die Autoren schlagen zur Lösung der Probleme der industriellen Landwirtschaft das Konzept der „Nahrungs-Souveränität“ vor, das von der Bewegung der KleinbäuerInnen Via Campesina artikuliert wurde. Dafür braucht es eine breite gesellschaftliche Bewegung von BäuerInnen und Städter, die ihr Recht auf gesunde Nahrung realisieren.

Die jetzige Entwicklung in Frankreich aber geht in eine ganz andere Richtung: Die Bio-Produktion geht nicht weiter voran. Es bleibt eine Nische, die vor Allem von AkademikerInnen genutzt wird. Aber es ist keine Politik der Gesellschaft. Stattdessen ist in den letzten 10 Jahren der Verbrauch an Pestiziden um 22% gestiegen. Pro Sekunde werden in Frankreich weiterhin 26 Quadratmeter Boden zu gebaut oder unbrauchbar für die Landwirtschaft gemacht – alle 5 Minuten ein Fußballfeld. Der Wettlauf der Preise für Lebensmittel geht durch den Weltmarkt weiter nach unten. Billige Lebensmittel waren schon immer eine historische Grundlage für die Industrialisierung, denn sie ermöglichen niedrige Löhne in allen anderen Industrien.

Die AutorInnen formulieren drei Ziele für eine alternative Landwirtschafts-Bewegung in Frankreich:
1. Mindestpreise für Importe
2. Nahrungs-Versicherung (vergl. Kranken-Versicherung)
3. Rückbau der Technologie in der Landwirtschaft

Kapitel 1: Industrielle Landwirtschaft – ein mechanisches Monster

Eigentlich sollten uns doch die Maschinen von der mühseligen und stumpfsinnigen Landarbeit befreien. Der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft in Deutschland ist stetig zurück gegangen
1870: 49 % 1900: 29 % 1939: 14 % Heute ca. 250.000 Bauern

Schon in der Arbeiterbewegung (in der Sowjetunion unter Lenin) galten die Bauern als Rückständig und Feinde des Fortschritts und der Industrialisierung. Eine maschinelle Landwirtschaft sollte die Rückständigkeit überwinden. Aber daraus ist ein Teufelskreis entstanden: – Verschuldung – mehr produzieren – größere Höfe – größere Maschinen…- Kunstdünger – Pestizide – Monoproduktion – Boden steril durch Nitrat + Phosphor – Probleme mit dem Trinkwasser – Abhängigkeit von Banken (Raiffeisen), Schlachthöfen und Molkereien, von Discountern und Saatgutkonzernen – kurz: Land und Leute sind Abhängig von der Agro-Industrie. Damit einher geht der Verfall der Dorfgemeinschaften, Isolierung der Menschen, Land und Leute werden krank, Depressionen nehmen zu, die Selbstmorde steigt, die Zerstörung von Hecken, Streuobst, Singvögeln, Igeln, etc. schreitet vorran. In Europa wurden zwischen 1990 – 2000: ¾ der Insekten vernichtet durch Neonikotinoide

Kapital 2: Was verhindert eine vernünftige Landwirtschaft?

1. Der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten gesellschaftlichen Arbeitszeit geht zurück zugunsten des Anteils von Industrie, Handel, Freizeit…

2. Frankreich war 1990 Selbstversorger bei Obst und Gemüse, 2020 zu 50 %. Spanien exportiert 60 % seiner Agrar-Produktion. 6/7 der Bio-Produktion ist für den Export. Es findet ständig ein Dumping der Landarbeiterlöhne statt und das Grundwasser verschwindet. Der Freihandel und die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) machen die Selbstversorgung der Bevölkerung kaputt.

3. Die Agro-Industrie besteht aus einer Hand voll großer Konzerne, die einen weltweiten Markt beeinflussen. Bei Landmaschinen: 5 globale Konzerne beherrschen 60 % des Weltmarkts. Beim Saatgut: 5 Gruppen (BASF, Bayer…). Bei der Agrochemie dominieren 5 Gruppen 2/3 des Weltmarkts.

4. Die großen Bauernverbände werden von Großbetrieben dominiert. In Frankreich der FNSEA, in Deutschland der Deutsche Bauernverband, von Großgrundbesitzern, Milch- und Schlachthofkonzernen.

5. Spannend ist, dass die BäuerInnen bei den Bauernprotesten gegen Umweltauflagen mobilisieren. Aber auch gegen Umweltzerstörung, wie in Notre-Dame-des-Landes, Bassines. Aber warum sollten die Bauern überhaupt verantwortlich für die Umweltschäden sein, zu denen sie vom Markt gezwungen sind?

6. Der Bio-Sektor ist nur eine Nische auf dem Absatzmarkt. Er ergänzt als Nischen-Sektor die existierende industrielle Landwirtschaft, ohne sie zu ändern, ohne eine andere Agrarpolitik zu erzwingen: Der Konsument kann ja individuell entscheiden! Und eben das reicht nicht.

Kapital 3: Technologie

Die Technologie ist nicht neutral – sie verändert die Welt. Sie fügt sich ein in die Logik von Trennung, Herrschaft, Verlust von Wissen und Autonomie. Heute gibt es GPS-gesteuert Ernte-Roboter. Verrückt? Mag sein, aber der Bauer, der sich dem nicht unterwirft, geht auf dem Markt unter. Es ist eine Logik der Akkumulation von Kapital, statt Logik der Natur und sie führt zu immer großflächigeren Monokulturen. Es findet eine „Surcapitalisation“ der Höfe statt: Ein immer größerer Einsatz von Kapital pro Hof bzw. Arbeitsplatz ist nötig.

Kapitel 4: Eine Bäuerliche Landwirtschaft ist notwendig, aber zur Zeit ohne Offensive

Es gibt einen Widerspruch in der Bio-Branche: Einerseits boomen die Bio-Betriebe, andererseits nimmt das Höfesterben, Degradierung des Bodens und der Import und Export zu.

Einerseits:
– In Frankreich kaufte Terre des liens – eine Stiftung – in den letzten 20 Jahren 6.400 ha Land auf und gründete damit 223 Höfe. Aber jede Woche verschwinden in Frankreich 250 Höfe!
– Bei den AMAP (Französische Solidarische Landwirtschaften (Solawi)) beteiligen sich 250.000 Mitglieder und deren Familie. Das sind 1 % der französischen Bevölkerung. Aber: Die Mitgliederzahlen stagnieren: Ist das Potential ausgeschöpft?

Andererseits:
– Höfesterben geht ungebremst weiter
– Absatz/Gebrauch von Pestiziden nimmt ungebremst zu
– Verschuldung/Kapitalisierung der Höfe steigt ungebremst
– Fläche pro Hof nimmt zu: deswegen kommt es zu mehr Pestiziden, Kunstdüngern, Robotern
– Import/Export von Bio nimmt zu

Fazit:
Die Existenz der Bio-Nische enthebt die Politik von der Verantwortung, die gesamte Landwirtschaft zu transformieren. Damit wird der Druck der Bewegung für eine alternative Landwirtschaft abgeschwächt. Bio ist ein Alibi. Es gibt keinen Schneeball-Effekt, durch den es immer mehr Bio gäbe. Es gibt kein „Es geht in die richtige Richtung“. Im Gegenteil: Der agro-industrielle Komplex schluckt den Bio-Sektor. Das Geschäftsmodell Bio funktioniert, bis die neue Lücke (höhere Preise durch Bio) gefüllt ist. Aber der Wettlauf nach unten (billigere Lebensmittel) geht weiter.

Die Rettung des Landes geht nicht über Transformation unserer kulturellen Gewohnheiten (oder unseres Konsumverhaltens), sondern über die Transformation des Wirtschaftssystems. Es gibt keine Rettung innerhalb des Marktes und seiner Zwänge. Bio-Produkte sind für Akademiker-Blasen: Je höher die Bildung, um so anspruchsvoller beim Essen.

Die Zahl der Bio-Käufer nimmt zu? Die Zahl der Tafel-Nutzer noch schneller! Bio schafft eine Abgrenzung sozialer Gruppen, für Verbraucher wie für Produzenten. Die Bewegung der alternativen Landwirtschaft stellt zwar Forderungen auf, macht aber selbst zu wenig Politik. Sie beschränkt sich darauf Beispiele zu geben. Auf Projekte, die zumeist abhängig von öffentlichen Finanzen sind und nicht von der Bevölkerung getragen werden.

Kapitel 5: Pflöcke gegen die Auslöschung

Was also muss geschehen: Nötig sind laut den AutorInnen
– eine starke Bewegung von Produzenten und Konsumenten,
– sichtbare Alternativen,
– eine Bewusstwerdung der Gesellschaft.
– Konzessionen gegen den Markt und Agro-Industrie erkämpfen,
– alternative Lebens- und Produktionsweisen gegen die kapitalistische Logik aufbauen,
– Herrschaftsmechanismen von früher und heute aufdecken.

Statt individueller Lösungen, moralischen Beispielen und lokalen Blasen sollte es um ein Recht auf Bio für Alle gehen.
Heute strampelt sich jeder Alternativ-Betrieb ab, auf sich allein gestellt am Markt zu überleben. Zu wenige versuchen sich von der Marktlogik zu befreien (wie z.B. die Solawi). Alternative Betriebe dürfen nicht zum Ziel haben, „rentabel“ zu arbeiten. Sie haben andere Ziele: Bio für alle, Boden-Renaturierung, Ernährungs-Souveränität, gemeinschaftliches Leben. Dabei sind Unterstützungen aus den marktwirtschaftlichen Sektoren und vom Staat keine Schwächen, sondern sind durchaus beabsichtigt.

Positive Beispiele:

– Es gab schon immer Solidarität, in Form von Lebensmitteln, die geliefert wurden (Mai 1968 in Paris von den BäuerInnen). Oder für die Sans-Papiers (Flüchtende bei Calais)
– Integrale Kooperativen: In Katalonien 2010. Bassin de Thau (Sète)
– Selber-Pflücker-Solawis (Wallonien)
– Kleine Gemeinden organisieren auf Gemeindeland eine Produktion für arme Einwohner
– Überall gibt es eigene Bildungsformate. Bei den Zapatistas findet durch Methoden und Schulungen eine Bewusstwerdung in der gesamten Bevölkerung statt
– In Frankreich gibt es die Parole der Bewegung: Eine Million neue Leute aufs Land!
– Gegenüber dem Staat muss durchgesetzt werden: Schutzzölle gegen den Freihandel, Import und Export! Mindestpreise bei Importen! Und Festpreise für die Ernte. Dazu ein Beispiel aus Frankreich: Dort wurde das Gift Diméthoate für Kirschen 2015 verboten. Die Importe mussten auch davon frei sein: Führte zu Verboten in allen Exportländern.

Positiv Beispiel: Lebensmittel-Sozialversicherung
Die Hälfte der Franzosen muss billig einkaufen. Und nicht, was sie gerne hätte. Überall in F entstehen die Lebensmittel-Sozialversicherungen, ähnlich der Kranken-Versicherung. Jeder Mensch kann beitreten, zahlt entsprechend seines Einkommens und hat das Recht auf 150 € monatlich für Lebensmittel, die gemeinschaftlich organisiert werden. Lokal oder regional. Der Effekt ist: Qualitativ gute Nahrungsmittel, Lebensmittel aus der Region, ohne Umweltzerstörung produziert. Ähnliche Beispiele: Selbstorganisierte Kantinen in Großbetrieben, wie in Brest. Oder der Verkauf der Maisernte bei Paris an Migranten.

Es ist eine technische Autonomie durch technische Abrüstung notwendig. Eine Kampagne gegen Drohnen, Satelliten, Algorithmen – nach dem Vorbild der erfolgreichen Kampagne gegen Gen-Manipulationen vor 30 Jahren. Das Ziel sollte die Re-Lokalisierung und Subsistenz sein. Zum Beispiel fordert die Bewegung bei Notre-Dame-des-Landes: Zurück aufs Land! Aber das Einkommen muss gesichert sein, sonst findet ein Wettlauf der Lebensmittelpreise nach unten statt. Deshalb braucht es einen Protektionismus. Und ein Recht auf Ernährung. Rückkehr zum Handwerk im Dorf, statt Technologisierung. Die Mittel für eine lokale Produktion von Lebensmitteln müssen vergesellschaftet werden. Es braucht ein moralisches Wirtschaftssystem in Gemeinschaften, statt der Logik des Marktes. Landwirtschaft muss ein politischer Faktor einer Graswurzelbewegung werden.